Flower Power in der Provinz

Die Legende begann auf einer Kuhwiese

Flower Power in der Provinz: Die Legende begann auf einer Kuhwiese
Flower Power in der Provinz: Die Legende begann auf einer Kuhwiese
   05.03.2010
Der fremde Blick: Der taiwanesische Regisseur Ang Lee bringt uns einen kleinen, aber bedeutenden Ausschnitt der US-amerikanischen Kulturgeschichte näher. Der aus einer Geburtsstätte der Flower Power Bewegung, aus San Francisco stammende Clint Eastwood präsentiert uns dagegen die Schlacht um Iwojima aus japanischer Sicht (Letters from Iwo Jima, 2006). Nur zwei Beispiele treten den Beweis an, dass die interkulturelle Sichtweise oftmals einen bislang unentdeckten, lohnenswerten Blick auf die Dinge geben kann. Verkehrte Weltsicht? Im Gegenteil. Taking Woodstock (USA 2009) die verkehrte Filmwahl? Auch nicht.

(Ab)spielen auf eigene Gefahr

Das verantwortliche Studio 'Focus Features' ist uns als Retter von abseitigen Filmperlen positiv in Erinnerung geblieben, mit Dan - Mitten im Leben! (2007) , mit Milk (2008) oder Away we go (2009). Wenn Sie allein beim Lesen dieser Titel bereits innerlich abschalten, sollten Sie Ang Lees neues Werk Taking Woodstock gar nicht erst einschalten. Vor allem dürfen Sie keinen Rockfilm oder eine Festival-Dokumentation erwarten. Das zeigt schon der Beginn: Flower ja. Power nein. Geradezu bescheiden wird "an ANG LEE film" eingeblendet, mit einem beruhigenden Klangteppich unterlegt, auf einer sonnigen Blumenwiese. "Play at own risk" steht beiläufig auf einem Holzschild des 'El Monaco' Motels, spielen auf eigene Gefahr. Beiläufig ist ein gutes Stichwort, denn das ist die große Stärke des Regisseurs Lee.

Eine kleine örtliche Genehmigung... ein großer Schritt für die Menschheit

Die Ereignisse vor den Tagen des Woodstock-Festivals, das vom 15. bis 17. August 1969 stattfand, werden in wunderschön ausgestatteten Filmbildern der späten 60er Jahre erzählt. Vertikale schwarze Balken trennen manche Szenen, so wie es Michael Wadleigh beim 'echten' legendären Woodstock Konzertfilm (1970) tat, um einen Moment in zwei, drei, vier Einstellungen parallel festzuhalten. Wir haben die damaligen Ereignisse nicht miterlebt. Nicht einmal am Fernsehgerät, wo in Taking Woodstock - natürlich beiläufig - die Mondlandung in schwarz-weiß abläuft und zum Glück auf den geflügelten Ausdruck "…aber ein großer Schritt für die Menschheit" verzichtet wird. Keine Plattitüden. Dabei würde der Satz auf den Protagonisten Elliot (Demetri Martin) passen, der in der heimatlichen Kleinstadt gestrandet zu sein scheint, weil er seinen jüdischen Eltern mit dem maroden Motel unter die Arme greifen muss. Als den Veranstaltern des geplanten Musikfestivals kurzfristig die Genehmigung entzogen wird, hat Elliot mit einem kleinen Schritt - einer kleinen örtlichen Genehmigung - einen großen Trumpf in der Hand. Wer hätte zu dem Zeitpunkt ahnen können, wie hoch der Zuspruch auf die Einladung zur Kuhwiese wirklich werden würde?

Keine Bilder aus der Konserve

Den Zuspruch von uns erhält dieser Spielfilm vor allem durch die bemerkenswerten Darsteller: Allen voran das unverbrauchte Spielfilmgesicht des Stand-Up-Comedian Demetri Martin. Großartig ist die britische Schauspielerin Imelda Staunton, die seine Filmmutter spielt und die in Wirklichkeit, in Interviewausschnitten wie ein vollkommen anderer Mensch wirkt. Dazu Liev Schreiber, der als 'Sabertooth' in X-Men Origins - Wolverine 2009 die Muskeln spielen ließ und hier in einer ganz anderen Garderobe auftritt: in Pink. Noch mutiger ist die Entscheidung, auf Woodstock-Originalaufnahmen zu verzichten. Keine Bilder aus der Konserve, keine der geläufigen Rocksongs, stattdessen ein eigener Soundtrack von Starkomponist Danny Elfman. Das gibt dem Film eine lebendige Eigenständigkeit.
Wir möchten Ihnen nicht länger in Worten übermitteln, was Ang Lee in Filmbildern vom über vierzig Jahre alten Kult übermittelt hat. Lee war nicht beim Festival dabei, wir nicht bei den Dreharbeiten. Das mitgelieferte Making-Of der DVD bietet uns Zuschauern mit der nacherzählten Handlung nur einen flüchtigen Blick über den Zaun und Ang Lee berichtet in der Zeitschrift 'Videotipp' (02/2010): "Ich war damals erst 14 und lebte in Taiwan. Das Fernsehen sendete einen kurzen Bericht. Ich staunte über so viele langhaarige Menschen." Wenn Sie das Thema des Films anspricht, vertrauen Sie bei dieser DVD-Veröffentlichung auf das Talent des Regisseurs. Ang Lee erzählt Ihnen mit dem anfangs erwähnten "lohnenswerten Blick" das lange zurückliegende Phänomen gekonnt in eigenen Bildern. Und nebenbei erfährt man, wie man auch eine Ehe über die Zeitspanne von vierzig Jahren hinweg retten kann.

Auf die Perspektive kommt es an

Ein passendes Fazit gibt uns ein Dialog zwischen der Freundin eines Festival-Verantwortlichen und Elliot:"Und wie läuft dein Tag so?" Elliot: "Gut. Na ja, eigentlich nicht… die Familie, du weißt schon. Es ist belanglos verglichen mit dem, was ihr gerade durchmacht." Sie: "Vielleicht ist es das Wichtigste, was gerade im ganzen Universum geschieht. Man weiß es nicht!" Elliot: "Ich glaube belanglos trifft es eher. Aus dieser Perspektive gesehen."
Zum Ende dieser Zeilen bleibt die Frage offen, ob Sie diesen Spielfilm nach dem Ausleihen als belanglos empfinden, oder die rund 120 Minuten Laufzeit als einen schönen Moment im Universum genießen konnten. Revolutionäre Anstöße aus Zeiten der Woodstock-Ära können solche Filme nicht leisten, in denen die schockierende Stumpfsinnigkeit mancher Kleinstädter à la Easy Rider (wie das Festival von 1969) nicht mehr zu spüren ist. Den Kontrast zeigt eine Dokumentation wie Full Metal Village (Deutschland 2006) plakativer. Doch das ist mit Sicherheit auch gar nicht das erklärte Ziel von Ang Lee, schließlich blickt er für uns in Taking Woodstock bewusst 'nur' über den Gartenzaun des Festivalgeländes.
In einem DVD-Bonus nennen Lee und Drehbuchautor James Schamus ihr Ziel: Lebensfreude vermitteln, beflügeln, den Geist des Festivals nicht verlieren. Das sind ja gleich drei Wünsche auf einmal? Kein Problem mit dieser Film-Überraschung. Ang Lee räumt mit dem Mythos 'Woodstock' auf und blickt auf die Geschehnisse am Rande des Festivals. Einen Blick wert!

Love, Peace and Rock 'n' Roll

Taking Woodstock

Die Legende begann auf einer Kuhwiese.

Taking Woodstock

Die Legende begann auf einer Kuhwiese.
Komödie

Eigentlich träumt der junge Elliot (Demetri Martin) von einer Karriere als Innenausstatter in New York. Doch das Motel seiner Eltern läuft alles andere als gut. Also bleibt er in seinem Heimatkaff und sinnt nach einer Idee, wie man die Geschäfte wieder zum Laufen...  mehr »

Produktion:
2009
Medien:
DVD, Blu-ray
Freigabe:
FSK 6
Bewertung:

Woodstock

3 Days of Peace and Music

Woodstock

3 Days of Peace and Music
Dokumentation

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Produktion:
1970
Medien:
DVD, Blu-ray
Freigabe:
FSK 12
Bewertung:

Woodstock Diaries

Dokumentation

Die 'Woodstock Diaries' auf DVD sind eine aufregende Dokumentation von Regisseur Don Alan Pennebaker ('Bob Dylan's 65er England-Tour') über die Entstehung des Woodstock-Festivals und über die drei Festivaltage selbst, erzählt von den Schöpfern und Organisatoren....  mehr »

Produktion:
1994
Medien:
-
Freigabe:
FSK 0
Bewertung:

Full Metal Village

So macht Landwirtschaft Spaß.

Full Metal Village

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Dokumentation

Draußen grasen unter holsteinischem Himmel die Milchkühe, drinnen gibt es beim Kaffeekränzchen selbstgebackenen Kuchen. Auf den ersten Blick ein ganz normales Dorf, wie es in Deutschland viele davon gibt, beschaulich und idyllisch: Wacken. Alltägliches bestimmt...  mehr »

Produktion:
2006
Medien:
DVD
Freigabe:
FSK 0
Bewertung:

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